Tsepo Bollwinkel
Tsepo Bollwinkel ist Schwarzer Südafrikaner im deutschen Exil, non binary mit Transitionsgeschichte, arbeitet als Musiker und als Referent zu Themen sozialer Gerechtigkeit – und schrieb das Vorwort für dieses Projekt.
pain
Schmerz
In unserer Gesellschaft migrantisiert oder rassifiziert zu sein, dazu vielleicht noch eine Fluchtgeschichte zu tragen und dann noch gleichzeitig nicht den sexuellen oder geschlechtlichen Normen zu entsprechen, das bedeutet Ausschlüsse auf so vielen Ebenen gleichzeitig. Es bedeutet Diskriminierung und sehr reale tägliche Gefährdung durch äußerlich wahrnehmbare Merkmale wie
den Phänotyp, Namen oder Akzent, durch den Aufenthaltsstatus, den Geschlechtsausdruck, die Partner*innenwahl oder Familienform. Jeder dieser gesellschaftlichen Ausschlüsse ist gewaltvoll, denn er verweigert betroffenen Personen ihr Menschenrecht, als einzigartiges und unendlich wertvolles Individuum wahrgenommen zu werden – ein Individuum, das doch immer so viel mehr ist als eine Summe aus Migrationsgeschichte und Queerness, das aber gleichzeitig ein Recht darauf hat, dass seine durch Rassismus und Queerfeindlichkeit geprägte Realität anerkannt wird.
„Du bist falsch.” „Du gehörst nicht zu uns.” „Du bist eine Schande.”
„Sie können Ihre Verfolgung nicht glaubwürdig machen.” „Sie müssen doch nicht offen homosexuell leben.” „Sie sind hier nur eine Belastung.”
„Ich bin schwul, also kann ich nicht rassistisch sein.” „Queerness ist eine Erfindung, um uns auszurotten.” „Ich wollte es schon immer mal mit einem exotischen Körper tun.”
Jeder dieser Ausschlüsse schreibt sich in Körper und Geist der Entwerteten ein, erschafft Wunden und tiefen Schmerz.
pride
Stolz
Und dabei waren wir[1] doch schon immer da!
Menschen, die jenseits der Normen von Heterosexualität lieben, die jenseits der Ideen von Zweigeschlechtlichkeit leben und Familien jenseits monogamer und nuklearer Beziehungsformen bilden, gab es schon immer und überall auf der Welt. Wir sind weder eine neue oder jetzt gerade modische Erscheinung noch seltene oder seltsame Freaks.
Neu ist viel eher die gewaltvolle Vorstellung und Durchsetzung von heteronormativen Normen und die Weigerung, jene, die sich heute vielfach Queers nennen, selbstverständlich in Gesellschaften zu inkludieren.
Wir waren immer schon da . Und dabei sind wir doch viele!
Jenseits von heteronormativen Ideen von Geschlechtlichkeit und Sexualität leben und lieben sehr stabil etwa 10 % der Menschheit. Das sind in Zahlen also etwa 780 Millionen Menschen weltweit und 8,3 Millionen in der Bundesrepublik. 780 Millionen Menschen sind keine seltene Minderheit, keine Ausnahmen von irgendeiner Regel, keine „schrägen oder bunten Vögel“. 780 Millionen Menschen sind ein integraler Bestandteil der Menschheit.
Und nein, nicht alle von uns sind sichtbar, können sich Sichtbarkeit leisten, weil diese Sichtbarkeit die Gefahr von Ausschlüssen und von Gewalt mit sich bringt. Ganz besonders gilt dies für Menschen, die rassifziert oder migrantisiert werden. Hier erleben viele von uns Ausschlüsse (und Gewalt) aus allen Richtungen: von der weißen und heteronormativen Mehrheitsgesellschaft, von queeren Communitys, und auch von Menschen, die eigentlich durch Herkunfts- oder Fluchtgeschichten oder durch Rassifizierung so viele Gemeinsamkeiten haben.
Es ist Zeit, dass es allen klar wird – auch uns selber:
Wir waren immer schon da. Und wir sind viele.
[1] In das „Wir“ schließt sich der Autor ein, der ebenso wie die Portraitierten und die Künstlerin rassifiziert ist und queer, und der ein Kind Geflüchteter ist.
pose
sich zeigen
Und dabei sind wir doch einzigartig, kostbar und schön!
Dies ist, was diese Ausstellung so wunderbar sein lässt: Sie zeigt uns als einzigartige Individuen mit dem selbstverständlichen Anspruch auf Selbstausdruck, auf die eigene Stimme und den eigenen Weg, auf Verletzlichkeit und Stolz, auf die unantastbare Menschenwürde.
In den Bildern und Texten offenbaren sich Menschen als so viel mehr als eine Summe aus Ausgrenzungserfahrungen oder Diskriminierungsmerkmalen, nämlich als vollständige, schöpferische und (be-)achtenswerte Personen und Persönlichkeiten.
Wir waren immer schon da. Wir sind viele. Und wir sind einzigartig, kostbarund schön.
In den Bildern von Nora Hase und den Texten der Portraitierten erschaffen sich mehrfach Ausgegrenzte nicht nur Sichtbarkeiten sondern darüber hinaus einen Raum der Würde, der Kraft und der (Selbst-)Liebe.
Dass der Prozess, der zu diesen Kunstwerken führte, kein Blick von außen auf
vielfach Diskriminierte war, kein Sprechen über Menschen ist, sondern Texte und Bilder Teil eines Empowerment-Prozesses sind – also ein Akt der Selbstermächtigung – das ist wesentlich und auch notwendig. Dies trägt zur besonderen Qualität dieser Ausstellung ebenso bei wie die Tatsache, dass die Künstlerin Nora Hase als queere und Schwarze Person viele Erfahrungen der Portraitierten teilt.
Würde, Kraft und (Selbst-)Liebe machen die portraitierten Menschen schön, machen ihre Texte schön, machen die Bilder von Nora Hase schön, und machen auch die Empowerment-Prozesse, die diese Ausstellung begleiten, schön.
Ich wünsche mir, dass diese Schönheit sich in den Erfahrungen aller sie Betrachtenden widerspiegelt als ein Wiedererkennen der eigenen Einzigartigkeit, Kostbarkeit und Schönheit. Und ich wünsche mir, dass dieses Wiedererkennen zur selbstverständlichen gesellschaftlichen Anerkennung queerer und rassifizierter Menschen beiträgt.
Tsepo Bollwinkel
Antidiskriminierungsbüro ADB rubicon
Das ADB rubicon ist eine von 42 Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit in NRW. Sie setzt sich für die Rechte und die Sichtbarkeit von lesbischen, schwulen, bisexuellen, trans*, inter* und queeren (lsbtiq*) Menschen mit Rassismuserfahrungen ein. Das ADB rubicon bietet Einzelfallberatung mit dem Schwerpunkt Rassismus und LSBTIQ*-Feindlichkeit, Bildungs- und Netzwerkarbeit an.
baraka – a place for international queers
baraka ist seit 2005 ein offener Treff für queere Menschen aus der ganzen Welt. Ein Ort, um Leute aus dem eigenen Herkunftsland und aus vielen anderen Ländern kennenzulernen, um sich möglichst diskriminierungsfrei austauschen und Lebenserfahrungen teilen zu können, ein Ort, um Kraft zu schöpfen.
Ein Ort, wo alle sie selbst sein können, mit ihren vielschichtigen Persönlichkeiten und Lebensrealitäten.
Der Treff wird von Mitarbeitenden des rubicon in Köln organisiert.
Die Ausstellungsstücke
Bist du neugierig und möchtest internationale Queers unterstützen und ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind? 15 Queers haben ein Jahr lang an diesem Projekt gearbeitet, um ein klares Statement gegen Diskriminierung und Rassismus zu setzen. Der Empowerment-Prozess war herausfordernd, aber die Teilnehmenden haben mit Fotografin Nora Hase eigene Bildcollagen entworfen, Texte geschrieben und sich im Austausch miteinander selbst empowered. Ihre Erfahrungen von Schmerz und Fragmentierung kannst du dir in der vollen Ausstellung ansehen.